Interview: Alice und ihr Weekend

Interview bei jamonline vom 26. Januar 2015
Zum nachlesen: www.jamonline.it/primo-piano-slideshow/alice-e-il-suo-weekend-intervista
Alice und ihr Weekend
„Meine Musik jenseits des Glaubens“. Das neue Album der kultivierten Interpretin, zwischen Leichtigkeit, Teamwork und Melancholie
„Weekend ist eine Platte durchsetzt von Leichtigkeit. Eine Leichtigkeit des Geistes die wir sehr deutlich vermitteln wollten: nicht einer begrenzten Elite sondern jedem Hörer.“ Zwei Jahre nach Samsara kommt Alice zurück mit Weekend. Ein Album notwendig wie lohnenswert, und außerdem schön. Notwendig weil – worauf die Interpretin aus Forlì entschlossen besteht – Vehikel einer vergessenen und verlorenen Anmut lohnenswert weil licht, singulär in seiner Machart aber auch in seinem sanften und melancholischen sich auflösen, Stück für Stück. Weekend, Studioalbum Nr. 18 der Künstlerin, wurde über die Spanne eines Jahres jeweils an den Wochenenden aufgenommen: wie gewohnt bei Alice und Francesco Messina wimmelt es nur so an künstlerischen Mitwirkungen und Beiträgen, von Paolo Fresu bis zum unverzichtbaren Franco Battiato, von Paul Buchanan der Blue Nile (Autor von Christmas) bis Mino di Martino. Kühle Pop-Art, anziehend, ein Werk der Reduktion, 10 Lieder mit kleinen Bekenntnissen festgehaltener innerer Momente, von L’umana nostalgia (Claudio Rocchi) bis Da lontano (mit Luca Carboni), von Tante belle cose (Françoise Hardy) bis zu Un po‘ d’aria (von der Gruppe Soerba). Hier bestätigt Alice wieder einmal welch vielseitige und kultivierte Interpretin sie ist; ausgestattet mit der perfekten Stimme das „Heilige“ in der Musik zu singen, die Nostalgie und die existenzielle Unruhe und das mit Klarheit und Stil.
Wir haben Alice in einem Moment der Ruhe getroffen, in einer kleinen Pause der Promotion-Tour die Weekend seit Mitte November begleitet, in Erwartung dreier Konzerte (Rom am 23. März im Parco della Musica, Florenz am 29. März im Teatro, Puccini, Mailand am 8. April im Teatro Nuovo) die den Auftakt zur Sommersaison bilden.
Der Titel der Platte verweist auf die Momente in denen sie realisiert wurde: Die Wochenenden eines Jahres, von September 2013 bis September 2014. Eine ungewöhnliche Wahl…
Tatsächlich ist es eine natürlichere Wahl als man glauben könnte: Der Alltag ruft uns zu vielen Tätigkeiten und die Zeit für die Aufnahmen hat sich reduziert. Folglich ist die Realisation des Albums, vom Schreiben bis zur Vorproduktion, während dieser Wochenenden erfolgt!
Dennoch, habt Ihr dem Album eine schöne Homogenität verliehen, die das Ergebnis einer einzigen Sitzung zu sein scheint.
Angesichts einer so neuen und ungewöhnlichen Produktionsweise, war es notwendig eine gewisse Klarheit zu bewahren um zum Endergebnis zu gelangen, und die Zeit hat uns, so gesehen, dabei sehr geholfen. Es war nicht leicht, immer wieder zu unterbrechen, um dann wieder in Album hineinzufinden. Dieser Modus war sehr ermüdend, aber die Erfahrung war positiv. Wir hatten schon eine genaue Auswahl an Stücken im Kopf und mit dem Ergebnis sind wir sehr zufrieden.
Im Vergleich zu Deinen früheren Alben, gekennzeichnet von fülligen, manchmal sogar üppigen Arrangements (denken wir z.B. an Il sole nella pioggia), hat Weekend bei mir den Eindruck eines minimalen Sounds hinterlassen.
Genau, das war eine bewusste Entscheidung und eben so gewollt. Ein Künstler sollte sich immer dessen bewusst sein, was er tut und in welchem Umfeld er sich bewegt: Eine Minimal-Option war unumgänglich. Als Basis hatte ich eine neue Art der Kommunikation im Kopf passend zum neuen Stil der, wie Du siehst, sich auch in der Grafik widerspiegelt.
Das Artwork ist in der Tat sehr interessant.
Gemeinsam mit Francesco Messina haben wir an etwas Leichtes gedacht, das einige Elemente vereint, die sich auf die Welt der Musik beziehen, sei es auf deren Kreation oder ihren Genuss; und andere, die eine innere Welt der Neugier, Lektüre und Erfahrungen repräsentieren. So finden sich neben einem jack (Anm. Klinkenstecker) oder einem Kopfhörer auch Bücher, einzelne Seiten und so weiter.
Schon immer ist jedes Deiner Alben eine Collage voller Beiträge von Gästen und Mitstreitern. Um in die Welt von Alice einzutreten, reicht Dir da eine einfache Mitwirkung oder bevorzugst Du eine tiefere Zusammenarbeit?
Manche Namen sind derart maßgebend, dass Weekend ohne sie nie entstanden wäre:
Ich denke da zu allererst an Francesco Messina und Marco Guarnerio (Das Album gibt es Dank ihnen), als Zweites natürlich an Franco Battiato, der zwanzig Prozent des Albums produziert hat, nämlich La realtà non esiste von Claudio Rocchi und Veleni, welches er mit Manilo Sgalambro geschrieben hat (Anm. Fehler im Text – die italienische Textadaption von Tante belle cose stammt von F. Battiato). Ihre Beteiligung ist ganz klar tiefer, alles andere wäre seltsam. Die Zusammenarbeit mit den weiteren Künstlern ergab sich durch die Songs.
Gibt es einen Künstler, mit dem Du gerne einmal arbeiten würdest?
Diese Frage kann ich nicht beantworten, denn jedes Album entwickelt sich in Abhängigkeit seiner Musiker. Die Idee eines Gastes oder eines bestimmten Klanges für ein Stück entsteht um dem Song zu dienen und nicht eher. Es geht nicht darum, einen bestimmten Künstler zu bekommen, wenngleich es schon richtig ist, dass die Zusammenarbeit mehr ein sich wiederfinden ist, und es ist schön, dass daraus ein sich wieder neu entdecken wird.
Wie mit Paolo Fresu?
Genau. Paolo ist ein wunderbarer Musiker, er war 1989 bei Il sole nella pioggia dabei, seitdem immer wieder, tatsächlich hat er auch auf den folgenden Alben gespielt. Ich hatte noch nie Schwierigkeiten Kollegen mit einzubeziehen, auch weil es stets so ist, dass ich Fan des beteiligten Künstlers bin, in vielen Fällen sind wir auch Freunde.
Zum Beispiel Mino di Martino….
Ja, ich bin sehr glücklich, dass Weekend auch seine Handschrift trägt. Er hat ein wunderschönes Stück geschrieben, Qualcuno pronuncia il mio nome. Leider hat er dieses Mal nur eines komponiert, auf Samsara waren sogar vier Stücke von ihm. Mino ist ein guter Freund und einer der wenigen wahren Künstler Italiens. Er findet nicht die Beachtung, die er verdient hätte und das ist sehr schade, denn seine Schriften, auch außerhalb der Musik, sind sehr besonders.
Da lontano, geschrieben von Dir und Francesco Messina, das Du mit Luca Carboni singst, hat mich sehr beeindruckt.
Die Präsenz von Luca Carboni ist eine der signifikantesten. Mit ihm zu arbeiten war eine sehr positive Erfahrung. Auf seinem Album Fisico e politico habe ich eine neue Version des Songs Farfallina interpretiert. Luca auf meinem Album zu haben war eine logische Folge, aber es gab auch klare Beweggründe: Ich habe immer schon seine Fähigkeit bewundert, eine einfache und direkte Sprache mit einer tiefgründigen Poesie zu verbinden. Darüber hinaus hat seine Stimme etwas ureigenes und Da lontano ist ein sehr schönes Stück.
Über dieser Platte voller Leichtigkeit und Tiefe schwebt ein Name: Claudio Rocchi.
Sicher, ein einzigartiger Künstler. Leider kann ich nicht behaupten, ihn gut gekannt zu haben, wir sind uns 1994 zum ersten Mal begegnet: Es war eine Zusammenarbeit für sein Album Lo scopo della luna, ich habe mit ihm L’umana nostalgia gesungen, das ich nach 20 Jahren wieder aufnehmen wollte, für Weekend. Er war ein Mann, ein Künstler und eine Stimme mit ganz besonderen Qualitäten. Vor kurzem habe ich La realtà non esiste wiederentdeckt, ein wunderschönes Stück, welches ich unbedingt auf Weekend haben wollte. Es ist eine neue Version, die ich mit Franco Battiato singe.
Battiato, Rocchi, Di Martino, früher Camisasca: Du hast Songs von Autoren ausgeprägter Spiritualität gesungen. In Zeiten des Materialismus, was ist der Sinn des Heiligen in der Musik?
Gerade in einer Phase wie dieser macht es, denke ich, noch mehr Sinn dem Heiligen eine Stimme zu geben. Ein Künstler ist beileibe keine Person mit unerschütterlichen Gewissheiten. Wir fragen uns kontinuierlich welches unsere Richtung ist, welches die Bestimmung unseres Daseins. Das sind Fragen, die trotz des Materialismus aufkommen. Viele Menschen orientieren sich an materiellen, horizontalen, Bedürfnissen und Zielsetzungen, andere hingegen wählen eine vertikale Richtung, hin zum Geist. Ich denke das ist Teil der menschlichen Natur (die auch göttlich ist) und ein Künstler, der versucht in diesem Sinne zu verfahren, Medium für diese Fragen zu sein, ist am Leben in allen seinen Formen interessiert. Auch in seinen Unergründlichen, die ich oft besungen habe, und auch weiterhin werde.
Medium sein, sich zum Übermittler machen – Schlüsselelemente auf dem Weg eines Interpreten. Du hast eine gewichtige Geschichte als Interpretin. Welchen Eindruck hinterlassen bei Dir die neuen Interpreten, die sich z.B. in den Talentshows zeigen? Ich fürchte, in den meisten Fällen hat man keine Vorstellung wovon man singt…
Meiner Meinung nach ist das eine eingeschränkte Sichtweise, das Problem ist nicht wer singt, sondern was gesungen wird. Genauer gesagt, es würde mir sehr gefallen, wenn der neuen Generation von Interpreten mehr Möglichkeiten gegeben würden, das heißt, wenn man ihnen ein breiteres Spektrum an Liedern mit mehr Gehalt anvertrauen würde. Ich habe den Eindruck, dass es nur einen kleinen Kreis an Komponisten und wenige Produzenten für alle new entries gibt, mit dem Ergebnis, das der Song immer der selbe ist und die Interpretation…
Im Vergleich zu meiner Generation an Interpreten hat die heutige wesentlich mehr Möglichkeiten, nicht nur technischer Art, aber was fehlt, ist die Möglichkeit sich zu entwickeln. Als ich mich vor ein paar Jahren mit einem Musikproduzenten unterhielt, war ich erstaunt: Er erzählte mir mit sehr zufrieden, dass die Talentshows ein wichtiges Sprungbrett für den Markteintritt seien, wenn die Single dann aber nicht liefe, Geduld, dann versuche man es eben mit dem nächsten Talent… Ich habe diese Wegwerf-Mentalität immer abgelehnt, ich vertraue noch auf einen Mentalitätswechsel bei den Plattenfirmen, aber der Markt heute steckt immer tiefer in der Krise, die Margen für Investitionen in Neues gibt es nicht mehr.
Apropos Markt, Weekend macht auch eine „bella figura“ in Vinyl…
Ich bin noch mit Platten aufgewachsen, ich hänge sehr an ihnen (sie lacht)! Die LP hat einen großen symbolischen Wert und ich freue mich sehr darüber, dass sie wieder eine steigende Beachtung erfährt. Wir haben 1000 nummerierte Exemplare pressen lassen, die großen Anklang finden.
Von der Interpretin zur Autorin: Auf Weekend findet sich auch ein Stück, welches Du alleine geschrieben hast…
Ja, es heißt Aspettando mezzanotte. Im Laufe meines künstlerischen Lebens habe ich immer Raum gelassen für Momente persönlicher Betrachtungen und auch dieses Stück ist eine Art Standbild mittels Wort und Musik. Lieder besitzen das Privileg einer vollkommenen Sprache und oft ist dies ideal um Momente des Lebens festzuhalten, in denen sich wichtige Fragen stellen.
In einem Interview erinnerte sich Franco Battiato, dass in seinen Konzerten viele Personen mit einem starken Sinn für Religion waren, einmal sogar Nonnen… Nach so vielen Jahren der Erfahrung, hast Du ein Bild von Deinen Hörern?
Sicher, mein Publikum besteht hauptsächlich aus Erwachsenen, aber seit kurzem bemerke ich auch viele junge Leute, die sich meiner Musik nähern, wahrscheinlich weil sich meine Aktivitäten in letzter Zeit häufen. Mein Angebot ist nun nicht gerade eines der „einfacheren“, und wer sich dem nähert, tut dies sehr bewusst; in den meisten Fällen handelt es sich um Kulturschaffende, aber vor allem haben diese Personen eine große Affinität zu den existentiellen Themen, derer ich mich annehme. Unter meinen Hörern sind Yoga Praktizierende, Sufi, Katholiken, Menschen verschiedener Lehren: ich bin froh, dass meine Musik über den Glauben hinausgeht.
.
Wie immer vielen Dank an Alice e dintorni für den Hinweis!
.