Übersetzung des Interviews mit Alice in IO DONNA

Geburtstage machen mir keine Angst
Alice ist vor kurzem 60 Jahre geworden und feiert dies mit einem neuen Album. Sie erzählt wie sie lernte, mit dem Erfolg umzugehen. An den eignen Giften arbeitend.
Sie sitzt auf der Kante des Sofas als wäre sie für einen Schnappschuss bereit. Alice zeigt ein großes Lächeln. Sie ist grazil, trägt eine Stoffhose und einen Wickelpullover. Eine schöne junge Frau von 60 Jahren, gefeiert mit ihrem neuen Album Weekend, das am 11. November erscheint. „Als ich sehr jung war setzte ich mir eine Frist: Wenn innerhalb von fünf Jahren nichts geschieht, verändere ich mich. Dann gestattete ich mir doch einige kleinere Abweichungen… Aber ich hätte mir niemals träumen lassen, dass ich mich so eine lange Zeit mit dem beschäftigen darf was mir am meisten bedeutet.“
Auf dem Album Weekend findet sich eine für Sie neue Leichtigkeit…
Das ist Francesco Messina, Marco Guarnerio und den anderen Mitwirkenden zu verdanken.
Und Ihnen. Erlernt man Leichtigkeit mit den Jahren?
Sie ist in uns, mehr oder weniger offensichtlich. Diese denkwürdige Zeit ist schwierig: wir müssen wieder lernen die Ereignisse zu bestimmen anstatt sie nur zu ertragen.
Und Sie haben sie bestimmt?
Heute singe ich nicht nur sondern komponiere und texte meine eigenen Lieder, aber das musste ich mir erarbeiten, ich wurde nicht schon so geboren.
Stimmt es, dass Sie Ihre ersten Alben verleugnet haben, die unter Ihren richtigen Namen, Carla Bissi, erschienen sind?
Ich habe überhaupt nichts verleugnet, sie entsprachen mir einfach nicht. Das war nicht das, was ich unter Musik machen verstand, daher habe ich es beendet.
Ohne bereits eine Alternative zu haben?
Ja. Ich habe keinen Laut mehr von mir gegeben.
Und dann?
Und dann kam es zu den Begegnungen mit Franco Battiato, Francesco Messina, der mein Partner wurde. Wir haben unser 30-jähriges gefeiert, ein weiteres Ziel.
Wie erreicht man das?
Die Liebe muss stärker als die Persönlichkeiten sein, die in unserem Fall sehr unterschiedlich sind; und dann der Wunsch, sich nicht selbst durchzusetzen sondern den anderen anzunehmen. In Letzterem liegt die Möglichkeit die Hürden des Ego’s zu überwinden.
Ist es schwieriger, wenn man zusammenarbeitet?
Wir haben zum Teil unterschiedliche Sichtweisen, sind uns aber in der Richtung völlig einig. Ich habe mich Francesco anvertraut. Er hat mir andere Welten gezeigt, andere musikalische Realitäten, mich angespornt mich Dingen zu stellen die ich aus Schüchternheit und Ehrfurcht niemals in Angriff genommen hätte.
Woher kommt der Titel „Weekend“?
Das Album wurde samstags und sonntags aufgenommen; die einzigen Tage an denen wir alle Zeit hatten.
Unter den zehn Liedern ist auch Veleni von Franco Battiato, das nicht angenommen wurde für das diesjährige Festival di Sanremo.
Ja. Ein starkes Lied. Das Thema ist für uns alle fundamental.
„Die Gier, der Hass, der Zorn, die Ignoranz, die Verwirrtheit, die Anhänglichkeit, die Eifersucht, der Besitz, der Irrsinn, der Groll sind Gifte.“ Eine ganz Menge. Wie schafft man es, nicht vergiftet zu bleiben?
Sagen wir, dass es schon eine Menge ist, dass ich daran arbeite… und dass ich mich von vielen Giften befreit habe.
Ist das Ihre Empfindung oder der Eindruck den andere von Ihnen haben?
Das macht keinen Unterschied: das Gift ist Gift. Wichtig ist, nicht mehr darin gefangen zu sein.
Ihre Karriere ist reich aber es scheint, dass Sie es geschafft haben sich die Zeit zunehmen, die Sie brauchten.
Die ersten 10 Jahre meiner Karriere habe ich quasi aus dem Koffer gelebt. Was ich erreicht hatte, lag jenseits aller Erwartungen, und dennoch fühlte ich in mir eine unglaubliche Leere. So habe ich Abstand genommen von den perversen Mechanismen des Erfolgs. Nicht dafür hatte ich Musik gemacht sondern aus Liebe zur Musik. Und stattdessen hatte ich die Freude am Gesang verloren.
Allerdings hilft der Erfolg…
Und wie! Wenn ich immer noch hier bin, ist es dem zu verdanken, was durch Il vento caldo dell’estate oder Per Elisa geschehen ist. Aber das muss nicht das Ziel werden.
Gibt es weitere wichtige Etappen?
Alles ist wichtig. Meine Mutter, die mir mit ihrer wunderschönen Stimme Kinder- und Weihnachtslieder vorgesungen hat. Mein Vater, der in einer Big Band der 50er Gitarre und Kontrabass spielte, auch wenn ich ihn immer nur zuhause spielen hörte. Das einzige Mal, dass sie mich mitnahmen um ihn auswärts zu hören, bin ich eingeschlafen. Freunde, die sich als Feinde offenbarten. Ich meine das im übertragenen Sinne. Ich beziehe mich z.B. auf Personen, mit denen ich geschäftlich zu tun hatte, und die sich später sehr wandelten. Aber ich habe gelernt, mich in die Lage anderer zu versetzen und zu verstehen, dass Feindseligkeit manchmal nichts anderes ist als eine andere Position.
Wie nennen Sie Ihre Freunde, Alice oder Carla?
Carla. Heute macht das keinen Unterschied mehr, aber es hat lange gedauert, bis ich mich an einen anderen Namen gewöhnt hatte. Ich erinnere mich noch an eine Zugfahrt von Forlì nach Mailand zur Plattenfirma. Auf halber Strecke dachte ich: so, ab jetzt muss ich mir merken, dass ich Alice heiße.
Sie haben keine Kinder. Eine bewusste Entscheidung?
Es ist so gekommen. Anstatt mich darauf zu versteifen habe ich mich entschieden auch dies anzunehmen und verstehen auf welche Weise ich meine mütterliche Seite, die stark ausgeprägt ist, entfalten kann: man kann Mutter sein, ohne zu gebären und Vater ohne biologisches Kind.
Wenn Sie an sich mit 20 Jahren denken – erkennen Sie sich wieder?
Na sicher. Ein Teil von uns ändert sich nie. Unsere wahre Natur hat nichts mit dem Alter zu tun. Die Frage ist, wer sind wir wirklich.
Wie sagt doch Battiato in „Veleni“?
„Sich zu erkennen ist der Schlüssel zu jedweder Tür“…
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